Mueller_Roedelius

Künstlerbiografien sind nicht selten von zahlreichen Brüchen gezeichnet, ein Umstand, der mit der Intensität des schöpferischen Willens wachsen zu scheint. Wer in so vielen maßgeblichen musikalischen Formationen gespielt hat, wie der 1934 geborene Hans-Joachim Roedelius, der weiß das nur zu gut. Harmonia und Cluster etwa bedeuteten nicht nur ein Who is who? an Prominenz musikalischer Innovation, sondern auch die stetige Gesellschaft von Künstlerfiguren mit einer gewissen Exzentrik. Schön ist es da zu beobachten, wenn diese Brüche nicht als Last genommen werden, sondern als das, was sie für die Kunst bedeuten sollten: einen unsagbar wertvollen Schatz an Erfahrungen. Roedelius nutzt diesen Schatz, er hebt ihn noch immer und gestaltet ihn dabei ständig neu.

 

Der aus der Schweiz stammende Pariser Christoph H. Müller blickt auf einen ähnlich weiten Erfahrungshorizont, auch, wenn er der jüngere Partner in diesem synergetischen Duo ist. Mit Gruppen wie Gotan Project emanzipierte er den Begriff der Weltmusik und machte sie um eine Vielzahl gefeierter Produktionen reicher. Müller gehört dabei einer Generation Musikschaffender an, die von der Pionierarbeit Roedelius’ im Bereich der elektronischen Musik stets profitierten, diese ergänzten und sich mit einer konstruktiven Lust an ihr beteiligten – so war eine Zusammenarbeit der beiden nichts weniger als Fügung.

 

2015 erschien ihr gemeinsames Debut auf Grönland Records, IMAGORI, ein Album, das bereits zeigte, wie gut die musikalischen Visionen der beiden zusammen passen. Die Klangsphären Roedelius’ gingen eine emphatische Symbiose mit den elektronischen Produktionen und Beats Christoph H. Müllers ein, wodurch eine Musik entstand, die nicht zwei Welten vereinte, sondern eine neue erschuf.

 

Ein Prozess, der sich nun nahtlos fortsetzt. Schon der Titel deutet diesen Weg an: IMAGORI II. Das zweite gemeinsame Album der Elektronik-Souveräne zeigt neue Facetten ihrer Zusammenarbeit und offenbart dabei, wie viel Neuentdeckung möglich ist, wenn sich zwei Forscher zusammentun. IMAGORI II pendelt dabei mit seinen zwölf Stücken zwischen Zartheit und scharfen Kanten, zwischen Science Fiction und Garten Eden, lässt Organische Klangkörper aufkommen, die sich wieder fragmentieren, erschafft Stimmungen zwischen Melancholie und Euphorie, stets begleitet von jenem filmischen Pathos Roedelius’, der ohne große Gesten auskommt und vielmehr die Grenzen des Minimalismus auslotet.

 

Auffällig oft kommt dabei auch Sprache zum Einsatz, in der ersten Single FRACTURED BEING etwa, dem Miss Kinichi alias Katrin Hahner ihre Stimme leiht, hier unter dem Namen Kenichi. Mit ICH DU WIR dann wird IMAGORI II zur Familienangelegenheit, Rosa Roedelius lässt langsam beobachten, wie die dekonstruierte Sprache über eine klangliche Landschaft wieder zu einer Form zusammenwächst. In LA VIE EN BLEU dann hören wir die Töchter von Christoph H. Müller, die auf Französisch die Grenzenlosigkeit der Musik ihres Vaters illustrieren.

 

So wohnen wir auf IMAGORI II erneut Experimenten bei, die wissen, auf welchen Grundlagen sie aufbauen und dabei über den Blick in die Zukunft so manches Mal die Gegenwart vergessen lassen, ohne bloßer Eskapismus zu sein. Vielmehr ermöglichen die zwölf Stücke dem Hörer, die Augen zu schließen und in einen Traum zu finden, der nicht schöner klingen könnte – wir erfahren dieses Phantasma als IMAGORI II. Hier finden sich keine Brüche, sondern Übergänge, auf deren Oberfläche etwas Neues entsteht.

 

Das Album endet schließlich mit einem Titel, der bezeichnender nicht sein könnte und die musikalische Harmonie der Produktion noch einmal rekapituliert: HIMMLISCHER FRIEDEN. Es ist zu hoffen, dass sich dieser noch lange fortsetzt.

 

 

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