Duke Ellington, The Conny Plank Sessions, Grönland Records, groenland records, Berlin

Duke Ellington

Bei Bach wie bei Ellington kann man sich ans Klavier setzen, um sich nur die Akkorde durchzubuchstabieren, und es passiert immer noch etwas Großes. Diese Musik ist so reich und nahezu unzerstörbar.

Duke Ellingtons musikalische Arbeit scheint gut dokumentiert: Die Wahrscheinlichkeit, eine gute, unveröffentlichte Duke Ellington-Aufnahme zu finden, ist eher gering.
 Als ich also den Anruf von Grönland Records bekam, dass sie genau so etwas im Nachlass von Conny Plank gefunden hätten und mich fragten, ob ich da mal reinhören wolle, fühlte ich mich ziemlich geehrt und war gespannt. Die Musik von Ellington ist – in meiner Weltsicht – für Jazz das, was die Arbeit von Bach für die Klassik ist, DER große Bezugspunkt; und wenn man es noch mehr auf den Sockel will: das alte Testament, das Alpha und Omega. Bei Bach wie bei Ellington kann man sich ans Klavier setzen, um sich nur die Akkorde durchzubuchstabieren, und es passiert immer noch etwas Großes. Diese Musik ist so reich und nahezu unzerstörbar.

Ich hörte die Aufnahmen zum ersten Mal im Büro von Grönland. Eine Session, zwei Songs: Alerado und Afrique, von beiden jeweils drei Takes.
Es sind nicht nur Alternate Takes, wie es sie auf Reissues von Jazzklassikern oft gibt, man kann zuhören, wie Ellington arbeitet. Er sucht nicht nur nach dem besten Take für eine klar gesetzte Sache, er probiert aus.
Die Tempi ändern sich, Soloinstrumente werden getauscht, auf dem letzten Take von Afrique ist sogar ein Vocalsopran zu hören.

Alerado ist eine geradlinige Swingnummer, sie bietet Wild Bill Davis an der Orgel und vor allem Cat Anderson an der Trompete die Grundlage für bemerkenswert Klang- und Solokonzepte.
Die Anlage von Afrique ist freier und avantgardistischer, Grundlage ist ein Tom-basierter Beat, der während des ganzen Stücks gehalten wird und über den freie Improvisationen und Teile von Arrangements gelegt werden.

Abgesehen vom Musikalischen ist diese Aufnahme auch das Dokument eines besonderen Moments: Ein amerikanischer Jazzgigant am Ende seines Lebens trifft auf einen jungen Toningenieur und Produzenten, der sich anschickt, dem Pop einen neuen Sound zu geben – spannend, oder?

Ich wusste wer Ellington war, aber von Conny Plank wusste ich nichts, das muss ich zu meiner Schande gestehen. Oder genauer: ich kannte die Arbeit von Conny, ich wusste aber nicht, dass sie mit ihm zu tun hatte: Kraftwerk, Eurythmics, Ultravox, D.A.F. Ich bin zwar mit 80er-Jahre Synthie Pop großgeworden … wie wichtig Conny aber für das ganze Umfeld war, das war mir nicht klar. Der Produzent als Star in der ersten Reihe ist ein Konzept, das wohl erst mit Rick Rubin wirklich als Möglichkeit auftauchte. Conny hätte zwar das Gewicht gehabt, um in der ersten Reihe zu stehen, hätte es aber – nach allem was ich jetzt über ihn weiß – wohl gar nicht gewollt. Ganz nach der preußischen Devise: Mehr Sein als Schein.

Der Moment dieser Begegnung ist auch der Kern eines wichtigen Narrativs der Familie Plank. Der Wikipedia-Eintrag zu Conny Plank behauptet, Wolfang Hirschmann hätte Conny die Verantwortung für diese Aufnahme übertragen. Wolfgang Hirschmann ist Toningenieur und langjähriger Leiter der WDR Bigband. Ich habe mit Herrn Hirschmann telefoniert. Er wusste von diesen Aufnahmen nichts, er dachte auch, dass Conny zu diesem Zeitpunkt schon in Hamburg gewesen sei. Es stand sogar kurz die Frage im Raum, ob nicht Justus Liebich die Aufnahmen gemacht habe (er arbeitete zu der Zeit im Rhenus Studio).

Herr Liebich war dann so freundlich, das Master zu prüfen: die Aufnahme ist von Conny. Das ist also sicher. Der Ort ist auch sicher: das Rhenus Studio Köln. Das Datum ist nicht klar,

Wikipedia nennt den 27. April 1970, das Datum auf den Bändern selbst und der Eintrag in der Ellingtonia sprechen vom 9. Juli 1970 Ellingtonia. Die Umstände sind ebenfalls nicht klar: Wer ist beispielsweise die Sängerin, die auf dem dritten Take von Afrique singt? Stephan Plank hat sogar seine Mutter vermutet, Herr Hirschmann spekuliert auf eine skandinavische Liebschaft des Duke … Mythen und Legendenbildung.

Stephan Plank erinnert sich daran, dass seine Mutter die Geschichte dieser Session so erzählt hat: Duke Ellington suchte einen Ort zum Proben in Köln, Conny bat den Studiobesitzer, die Räume des Rhenus zur Verfügung zu stellen und fragte den Duke höflich, ob er die Proben, ganz unaufwändig, mit einem Stereopaar Mikrofone dokumentieren dürfe. Die erste Digitalisierung des Originalbandes ließ diese Version auch plausibel erscheinen, sie war relativ arm an Höhen und wirkte deshalb ein bisschen „proberaumig“ – aber Ingo Krauss vermutet, dass dieser Sound nichts mit der Aufnahme zu tun hat, sondern mit einer schlecht eingestellten Bandmaschine. Ingo arbeitete nach Connys Tod als verantwortlicher Soundengineer in Planks Studio in Wolperath, und er hatte recht mit seiner Vermutung. Die vorliegende Aufnahme ist noch mal von ihm selbst digitalisiert worden, diese Version ist deutlich brillanter.

Zwei Takes, so stellte sich dann bei den Recherchen heraus, sind schon einmal auf CD erschienen. Bei diesen Veröffentlichungen wurde aber härter gemastert, Ingos Version hingegen ist naturbelassen.

Ingo Krauss hat die Geschichte der Aufnahme auch aus Christa Planks Perspektive gehört. Ihre Version geht so: Ellington hatte das Rhenus Studio auf eigene Kosten gemietet, um Stockpile Recordings zu machen, also Aufnahmen für einen unbestimmten, späteren Zeitpunkt, und Conny war der dafür engagierte Soundmann.

Der Kern der Geschichte ist aber in beiden Fällen gleich: Der Duke hörte die Takes ab und lobte Connys Arbeit. Conny verehrte Ellington, bekam die Anerkennung von der richtigen Person zum richtigen Zeitpunkt. Einfluss und Bestätigung, ein Glücksfall.

Das kommt einem Ritterschlag gleich und würde für eine schöne Geschichte schon reichen, aber Ingos Version ist um ein Detail reicher:
 Conny war fasziniert davon, wie groß der klangliche Unterschied zwischen seinen bisherigen Arbeiten und diesen Takes war, die Ellington-Band lieferte einfach ganz anders, besser als er es gewohnt war. Das Ergebnis ist eine Aufnahme, mit der auch Conny zufrieden sein konnte. Diese Session scheint seiner Arbeit auch ganz unabhängig vom Lob des Meisters einen wichtigen Impuls gegeben zu haben.

Das von Conny überlieferte Bonmot – „Jede Band bekommt den Sound, den sie verdient“ – ändert dadurch die Farbe; es ist kein überhebliches Statement mehr, sondern die klare Vorstellung einer einfachen Tatsache: Man kann nur produzieren, was da ist – wenn die Performance nichts kann, bringt einen die Technik auch nicht weiter. Es war für ihn also sowohl ein Oho- als auch ein Aha- Moment.

Und dafür zu sorgen, dass die Performance stimmte, war eine von Connys großen Qualitäten. Künstler, die er später produzierte, beschreiben immer wieder unabhängig voneinander, wie wesentlich seine Menschlichkeit, seine Ruhe und sein Überblick für das Gelingen von Aufnahmen war.

Und er war bereit dafür zu arbeiten: Die Scorpions, deren erstes Album er auch produzierte, beschreiben, wie er sich bei Aufnahmen vor die Band stellte und tanzte!

Apropos Tanzen … Duke Ellington pflegte das Ritual, seine Konzerte mit einer kurzen Lektion zu beenden: wie man mit den Fingern schnippen muss, wenn „Cool“ das angestrebte Ziel ist.
 Zu behaupten, das Zusammentreffen von Ellington und Plank hätte dafür gesorgt, dass später Kraftwerk passieren konnte, wäre völlig übertrieben, aber die Vorstellung, dass sich in diesem Moment etwas von der Essenz dieses „It Don’t Mean a Thing, If It Ain’t Got That Swing“ übertragen hat, und dass es geholfen, hat Conny die Freiheit zu geben, sich furchtlos vor eine Band zu stellen um zu tanzen, ist einfach zu schön und lässt die Aufnahmen auch noch einmal anders aufleuchten. Ob diese Geschichte nun weiter modifiziert und mystifiziert wird oder nicht.

— Henrik von Holtum

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