Textor
„Das Gegenteil von Anarchie ist Verwaltung.
Das Gegenteil von Origami freie Entfaltung.
…
aber was ist das Gegenteil von Heilbronn?“
…diese Antwort bleibt uns der Track „So muss es sein“ für den Moment schuldig. Ansonsten lässt Textor aber keine Fragen offen und nichts zu wünschen übrig, auf einem phänomenalen, neuen Album, das in diesen Tagen bei Grönland Records erscheint. Es bzw. er „beschäftigt sich mit verschiedenen Dingen“ (Zitat aus dem Track „Bibimbap“). Dieser hochwillkommene Beitrag zum Stand der Dinge im deutschsprachigen Rap ist unschätzbar, sein Status inzwischen unangreifbar, seine Skills sowieso legendär.
So feingliedrig und schlank der Meister, so heavy das Werk. „So tun als ob“ ist, für manche vielleicht überraschend, ein reines Rap-Album geworden. Gut so! Keine ausgedehnten Exkursionen im Segment des gesungenen Lieds und des Orchestralen mehr, nur wenige Verweise auf Jazz oder Folk, ganz anders als etwa auf dem letzten Textor-Soloalbum, „Schwarz, Gold, Blau“ von 2012. Höchstens ein paar Spuren der dichten, eklektischen Sampling-Strukturen, die das Schaffen seines Duos Kinderzimmer Productions seit Mitte der 90er Jahre prägte. „So tun als ob“ ist gleichzeitig knochentrocken und voll im Saft, abgespeckt und fett, taufrisch und gut abgehangen. Diese Gegensätze vereinen zu können ist Ausweis seiner Meisterschaft – im Texte bauen, im Tracks bauen, nicht zuletzt im Abliefern.
In seinem Kreuzberger Studio hat Textor mit viel Muße – je nach Sichtweise hat er zehn oder auch nur ein Jahr dafür gebraucht – eine Kollektion minimalistischer Beats für maximalen Impact gebaut, mit nur wenigen, wohldosierten Ornamenten. Das Gros im Alleingang, bei drei Tracks kam Support von Quendolin Fender. Die Beats bilden untenherum ein stabiles Fundament, lassen obenherum aber viel Platz und Luft für elf brandneue, mal verwinkelte, mal straighte, mal rasante, mal kunstvoll verschleppte Gedankengänge, wie sie in der zuletzt eher öden, deutschen Raplandschaft ihresgleichen suchen. Die Skills eines alten Hasen treffen auf das Herz eines jungen Hüpfers, das immer noch unverdrossen in ihm schlägt.
Die wenigen Gäste auf diesem Album bringen keine zusätzlichen Rap-Strophen, sondern setzen gesangliche Glanzlichter: Steffi Frech auf „Kein Gefühl“, Fama M’Boup auf „Es dreht sich“ und Kenchi & The Sun auf „Klickediklick“. Den Rest stemmt Textor mühelos im Alleingang, seine Versatilität in Tempo und Duktus geben das problemlos her. Das satte Mastering von Rashad Becker von Dubplates und Mastering verleiht dem Werk nicht nur den letzten Schliff, sondern auch eine Autorität, die „So tun als ob“ zu DEM Rap-Album des Jahres machen – etwas für HipHop-Kids aller Altersklassen und jeglicher Couleur.
In der Tat: „So muss es sein.“
Hans Nieswandt